Behandlung
der österreichischen Friedensabgeordneten:
Die
Behandlung, die den Friedensabgeordneten zuteil
wurde, bildet eine würdige Einleitung zu dem
schmachvollen "Friedenswerk". Freilich
fühlten die "Sieger" ihr Wüten vor
allem an dem nach so langem und heißem Bemühen
in die Knie gezwungenen Deutschen Reich, aber
auch Österreich, das heißt Deutsch-Österreich,
bekam den Geist von Versailles voll und ganz zu
spüren: "diesen Geist des Hasses, der
Rache, der Vernichtung". (Freiherr von
Lersner, erster Vorsitzender der deutschen
Friedensabordnung in Versailles).
Ganz von derselben
Art wie die der reichsdeutschen waren die
Erlebnisse der deutschösterreichischen
Friedensdelegation, die in St. Germain ebenfalls
"interniert" blieb, wobei gelegentlich
einmal ein französischer Beamter durch die
Zimmer lief, um angebliche Beschädigungen
festzustellen, wohl eher um etwas auszuspähen.
Das Verbot eines "Verkehrs mit dem
Feind" bestand noch und äußerte sich
beispielsweise darin, dass die englischen und
amerikanischen Offiziere, die General Slatin
besuchten und oft stundenlang bei ihm waren, ihm
als Österreicher nicht die Hand reichen durften.
Geschah dies dem bei
den Briten wegen seiner Leistungen im
englisch-ägyptischen Sudan hochgeachteten Manne,
wie viel größer war der Abstand bei den
anderen. Als unwürdig wurde empfunden, dass die
Österreicher nur zu Fünfen mit
Detektivbegleitung, worunter es Lümmel gab, aus
ihrer "Reservation" zu Einkäufen
ausgehen in keinem Gast- oder Kaffeehaus
einkehren oder etwas anderes als Rauchzeug kaufen
durften.
Viel bedrückender
als die Beschränkungen der persönlichen
Freiheit musste aber die Bedeutungslosigkeit
empfunden werden, zu der sich alle Gelehrten und
Fachleute verurteilt sahen, die doch gehofft
hatten, dass man ihre Meinung, ihren Rat, ihre
Hilfe in Anspruch nehmen werde, wenn es um ihr
eigenes Land und Volk ging und die einfach
zusehen mussten, wie Übelwollende und Unwissende
das Schicksal ihres Vaterlandes bestimmten, ohne
Einwände oder Berichtigungen auch nur zu hören:
Unerhört war schließlich und noch nicht
dagewesen, dass die Abordnung seines mündlichen
Verkehres gewürdigt, sondern alles nur
schriftlich erledigt wurde. Man fürchtete wohl
die Macht des lebendigen Wortes, wollte keine
Augen- und Ohrenzeugen bei den Verhandlungen und
meinte, so die Geringschätzung des Gegners
besser zum Ausdruck bringen zu können.
Die
Friedensurkunde:
Im Mai 1919 war die österreichische
Friedensabordnung, geführt von Staatskanzler Dr.
Karl Renner, zu St. Germain en Lane eingetroffen,
musste aber wochenlang auf Eröffnungen warten.
Erst am 2. Juni erhielt sie den Wortlaut der
Bedingungen, die auf denselben Ton gestimmt waren
wie die Versailler für das Deutsche Reich:
erbarmungslos und ungerecht. Die
österreichischen Abgeordneten machten hiezu
verschiedene Bemerkungen, Berichtigungen und
Verbesserungsvorschläge, die einen geänderten
Wert der Urkunde zur Folge hatten, welche ihnen
am 20. Juli und am 2. September neuerdings mit
einem befristeten Entschlussvorschreiben
(Ultimatum) von fünf tagen überreicht wurde.
Die Wiener
Nationalversammlung gab am 6. September mit
siebenundneunzig gegen dreiundzwanzig (nationale)
Stimmen ihr Einverständnis zum
"Frieden", doch unter Einsprache gegen
die Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der
Deutschösterreicher und unter Kennzeichnung des
"Vertrages" als völkisch ungerecht,
politisch verhängnisvoll und wirtschaftlich
undurchführbar. Über 3,5 Millionen Deutsche in
den Sudeten- und Alpenländern seien von ihrem
Volke getrennt, ein schneidendes Schwert mitten
durchs Herz Tirols gestoßen. Das Volk
Deutschösterreichs - die verbündeten zwangen
es, das "Deutsch" zu streichen -
erhoffte vom Völkerbund Abhilfe.
Es blieb natürlich
nichts übrig, als sich dem Gebot zu fügen und
entgegen aller Überzeugung von der
Unmöglichkeit der oft wahnwitzigen Bestimmungen
zu unterschreiben, was die Machthaber wollten.
So wurde der
sogenannte "Friedensvertrag" am 10.
September 1919 unterzeichnet, am 17. Oktober 1919
von Österreich angenommen (dementsprechend
Verfassungsänderung vom 21. Oktober 1919) und
trat am 16. Juli 1920 mit Austausch der
Ratifikationsurkunde in Kraft.
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Die Begrenzung
Deutschösterreichs nach den Bestimmungen von St.
Germain;
Man hoffte dass wenigstens die Alpenländer,
deren deutscher Charakter doch zweifellos
feststeht, unversehrt beieinander bleiben
würden; auf das westliche Südtirol und das
windische Untersteier (einschließlich des
allzufernen deutschen Eilli) war man zu
verzichten bereit, wenn nur Deutsch-Südtirol und
das steirische Draugebiet uns verblieb, Kärntens
Einheit nicht angetastet wurde und das
verheißene Deutsch-Westungarn zu uns kam.
Aber selbst diese
mehr als bescheidenen Hoffnungen wurden
enttäuscht, trotzdem sie sich auf das
ununterbrochen laut und nachdrücklich,
verkündete Selbstbestimmungsrecht stützen.
Italien und Südslawien setzten ihre Wünsche
durch, die nur dort unvollkommen in Erfüllung
gingen, wo der stärkere "Sieger" dem
schwächeren nicht die ganze Beute gönnte
(Kärnten!).
Von Tirol und
Steiermark wurde der Süden ohne Volksbefragung
abgetrennt, Kärnten und Niederösterreich
verloren wenigstens einige bedeutsame
Grenzstreifen, das Burgenland aber kam nur als
Ausschnitt aus dem viel größeren
Deutsch-Westungarn an uns. Gegenüber dem
Deutschen Reich, der Schweiz und Liechtenstein
blieb die alte Grenze aufrecht.
Am Reschen-Scheideck
(1.500 m) Zwischen Engadin und Vintschgau beginnt
die neue "Wasserscheiden" Grenze gegen
Italien, die aus militärischen und nationalen
Gründen beansprucht wurde; denn die unleugbar
vorhandenen Südtiroler Deutschen seien nur zu
Unrecht gleichsam über den trennenden
Bergrücken in die südlichen Alpentäler
hereingequollen und müssten entweder
verschwinden oder sich verwelschen lassen! Weil
die Ebene im Süden viel tiefer liegt als jene im
Norden, ist das Gefälle der Flüsse dort
bedeutender als hier, demzufolge die
Wasserscheide näher dem Nordrand und das
weitverästelte Etschgebiet bis ins Herz des
Landes hinein ausgedehnt. Hier steht auch das
namengebende Schloss Tirol.
Die Grenze verläuft
vom Reschen-Scheideck bis zum Brenner (1,370 m)
auf dem Kamm der Ötztaler- und Stubaier-, dann
auf dem der Zillertaler Alpen entsprechend der
Wasserscheide gegen den Inn, berührt an der
Birnlücke auf 10 Kilometer das Land Salzburg und
folgt dann der Wasserscheide gegen die Drau. Da
jedoch der Ursprung der Drau auf dem bequem zu
überschreitenden Toblacher Feld (1.200 m) liegt,
wohin auch ihr erster Zufluss, der Sertenbach vom
Kreuzberg (Übergang zur Piave) mündet, so wurde
hier "ausnahmsweise" zugunsten Italiens
die Wasserscheide verlassen und Drauquelle samt
Sertental abgetrennt, Innichen zur italienischen
Grenzstation gemacht.
Ähnliches geschah
am Ostende der mauerartigen karnischen Alpen,
einer unverrückbaren Natur- und Völkerschranke:
hier erschien der Knotenpunkt Tarvis zwischen
Fella-(Kanal)-Tal, Weißenfelser Sattel (zur
Save) und Predilpass (zum Isonzo) so verlockend,
dass, das obere Gailitzgebiet trotz seiner
Zugehörigkeit zur Drau wieder
"ausnahmsweise" der adriatischen
Abdachung angegliedert und das rein deutsche
Tarvis zum westlichen Tarvisio umgewandelt wurde.
Die Wahrheit:
Dr. Karl Renner
selbst erklärte in St. Germain: "Es wird
den Führern der Entente so rasch wie möglich
klargemacht werden, dass sie, wenn sie
Deutschösterreich zur Fertigung dieses
Friedensvertrages zwingen, ihren Ruf gefährden,
indem sie auf ihren Triumphwagen eine Leiche
Laden!"
Hinter den Kulissen
der Friedenskonferenz sind die Entscheidungen
nicht so glatt gefallen, wie es den
Österreichern auf Grund der Friedensbedingungen
erschien. Die Vertreter der Ententemächte waren
sich der Inkonsequenz und der Ungerechtigkeit
ihrer Beschlüsse durchaus bewusst. Diese
Beschlüsse wurden oft erst nach sehr harten
Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen
alliierten Mächten gefasst. Dabei kamen
insbesondere die Amerikaner in Bedrängnis. Denn
Wilson hatte sich ja für das
Selbstbestimmungsrecht stark gemacht, und er
hatte den Österreichern eine
Grenzziehung nach klar erkennbaren nationalen
Bestand zugesagt.
Doch für den
Kriegsbeitritt an der Seite der Entente waren
Italien von Frankreich, Großritannien und
Russland große Gebietsgewinne auf Kosten
Österreich-Ungarns zugesagt worden, das waren:
das Trentino, Südtirol, das Kanaltal, Triest,
Istrien, Dalmatien und die vorgelagerten
adriatischen Inseln. Feste Zusagen, zu denen
jedoch Frankreich und Großbritannien nicht mehr
ganz standen - zumindest Dalmatien und nun auch
der große Hafen Fiume (Rijeka) sollten an
Jugoslawien fallen. Und da man die Italiener um
einen wesentlichen Teil der versprochenen
Kriegsbeute prellen wollte, konnte man den
Italienern nicht auch noch Südtirol
vorenthalten.
Für einen Moment
hatte es den Anschein, als würde Wilson der
Abtretung Südtirols nicht zustimmen wollen;
Franzosen und Briten erinnerten den
US-Präsidenten jedoch daran, dass ihm der
sogenannte Londoner Vertrag, indem diese Zusagen
an Italien enthalten waren, beim Kriegseintritt
Amerikas vorgelegt worden sei. Wilson musste dies
zugeben, und damit war das Schicksal Südtirols
besiegelt.
Die schwankende
Haltung Wilsons in der Südtirolfrage hing von
zwei Überlegungen ab. Einerseits wollte Wilson
die Zustimmung der Italiener für seine
Völkerbundidee gewinnen, andererseits versuchte
er, ihre Gebietsansprüche im Osten zu Gunsten
Jugoslawiens einzudämmen. So vollzog er einen
Kuhhandel, bei dem die österreichischen
Interessen in Südtirol geopfert wurden, um
Italien Jugoslawien gegenüber nachgiebiger zu
stimmen.
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Österreich-Ungarn
vor dem 1. WK 1914
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Der
Rest von Österreich nach St.
Germain 1919
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