Österreichischer Heeresbericht über die
Ereignisse an der italienischen Front im November 1918:
Wien, 1. November
In Venetien wird die
Räumungsbewegung fortgesetzt.
Der Chef des Generalstabes.
Wien, 1. November
Die Marinesektion teilt mit:
Auf bisher nicht aufgeklärte Weise drangen heute morgen nach der
Übergabe der Flotte an den südslawischen Nationalrat mehrere
italienische Seeoffiziere in den Hafen von Pola ein, legten eine
Mine an das Schlachtschiff "Viribus Unitis" und
brachten es zum Sinken.
Stab und Mannschaft sind größtenteils gerettet.
Wien, 2. November
An der italienischen Gebirgsfront
werden unsere Truppen in planmäßiger Durchführung der
Räumungsmaßnahmen die Stellungen wie zu Beginn des
italienischen Krieges beziehen. In der venezianischen Ebene ist
die Rückbewegung über den Tagliamento im Gange.
Der Chef des Generalstabes.
Wien, 3. November
Auf dem italienischen
Kriegsschauplatz haben unsere Gruppen auf Grund des
abgeschlossenen Waffenstillstandes die Feindseligkeiten
eingestellt. Die Verlautbarung der Waffenstillstandsbedingungen
erfolg gesondert.
Der Chef des Generalstabes.
Paris, 3. November.
(Havas-Meldung.)
Der Waffenstillstand mit
Österreich-Ungarn ist unterzeichnet worden. Die Feindseligkeiten
werden am Montag, den 4. November, 3 Uhr nachmittags eingestellt
werden. Die Waffenstillstandsbedingungen sollen am Dienstag
veröffentlicht werden.
Wien, 3. November
Die von den Italienern gestellten
Waffenstillstandsbedingungen lauten:
zu
Lande:
1. Sofortige Einstellung der
Feindseligkeiten zu Lande, Wasser und in der Luft.
2. Gänzliche Demobilisierung Österreich-Ungarns und sofortiges
Zurückziehen aller Einheiten, die an der Front von der Nordsee
bis zur Schweiz operieren. Auf dem Gebiete Österreich-Ungarns
und innerhalb der unten im § 3 angeführten Grenzen als
österreichisch-ungarische Wehrmacht nur ein Maximum von 20
Divisionen, auf den Friedensstand vor dem Kriege herabgesetzt,
aufrechterhalten. Die Hälfte des gesamten Divisions- und
Korpsartilleriematerials sowie die entsprechende Ausrüstung, von
all dem beginnend, was sich aus dem vom
österreichisch-ungarischen Heere zu evakuierenden Gebiete
befindet, wird an den von den Alliierten und den Vereinigten
Staaten zu bestimmenden Punkten angesammelt werden müssen, um
ihnen ausgeliefert zu werden.
3. Evakuierung jedes von Österreich-Ungarn seit Kriegsbeginn mit
Waffengewalt besetzten Gebietes und Zurückziehung der
österreichisch-ungarischen Kräfte innerhalb eines vom
Oberkommandierenden der alliierten Kräfte an den verschiedenen
Fronten zu bestimmenden Termins jenseits einer wie folgt
festgesetzten Linie. Von der Umbrail-Spitze bis nördlich des
Stilffser-Joches wird diese Linie den Kamm der Rhätischen Alpen
verfolgen, bis zu den Quellen der Etsch und der Eisack über den
Reschen- und Brennerberg und auf den Höhen des Ötz und des
Ziller laufen. Die Linie wird sich gegen Süden wenden, den
Toblacher Berg überschreiten und die jetzige Grenze der
Karnischen Alpen erreichen.
Sie wird die Grenze bis zum Tarvisberg verfolgen und nach dem
Tarvisberg die Wasserscheide der Julischen Alpen über den
Predilpaß, den Mangart, den Tricorno (Triglav) und die
Wasserscheide des Podbrdopasses von Bodlenischen und von Indrio.
Von diesem Punkte ausgehend, wird die Linie in südlicher
Richtung gegen den Schneeberg verlaufen, das ganze Savebecken mit
Zuflüssen ausgenommen. Vom Schneeberg wird die Linie gegen die
Küste hinuntergehen, so daß Castus, Mattuglio und Voloscain dem
evakuierten Gebote inbegriffen sind. Sie wird desgleichen den
jetzigen administrativen Grenzen der Provinz Dalmatien folgen, im
Norden Lissarica und Tribam, im Süden eine Linie einschließen,
welche an der Küste von Kap Planca ausgeht und gegen Osten die
höchsten Punkte der die Wasserscheide bildenden Höhen verfolgt,
so daß in den evakuierten Gebieten alle Täler und Wasserläufe
inbegriffen werden, die gegen Sebenico abfallen, wie die Cicola,
die Kerka, die Butisnica und ihre Zuflüsse. Sie wird auch alle
im Norden und im Westen Dalmatiens gelegenen Inseln umfassen:
Premuda, Selve, Ulbo, Scarda, Maon, Pago und Punta Dura im
Norden, bis zum Süden von Meleda mit Einschluß von San Andrea,
Busi, Lissa, Lesina, Torcola, Curzola, Ozza und Lagosta sowie
auch die umliegenden Eilande und Inselchen und Pelagola mit
Ausnahme der Inseln Tirona grande und piccola, Bua, Solta und
Brazza. Alle geräumten Gebiete werden von den Truppen der
Alliierten und der Vereinigten Staaten besetzt werden. Hierbei
haben das ganze militärische Material und das Material der
Eisenbahnen, die sich auf dem zu evakuierenden Gebiete befinden,
an Ort und Stelle zu verbleiben. Auslieferung dieses ganzen
Materials (Versorgung an Kohle inbegriffen) an die Alliierten und
die Vereinigten Staaten nach den von den Oberkommandanten der
Kräfte der verbündeten Mächte an den verschiedenen Fronten zu
Messenden speziellen Weisungen.
Es darf keine neue Zerstörung oder Plünderung oder neue
Requisition von den feindlichen Truppen auf dem vom Feinde zu
räumenden oder von Kräften der verbündeten Mächte zu
besetzenden Gebiete geschehen.
4. Die Verbündeten werden das absolute Recht haben: a) einer
freien Bewegung ihrer Truppen auf jeder Straße oder Eisenbahn
oder Wasserweg des österreichisch-ungarischen Gebietes und des
Gebrauches der nötigen österreichisch-ungarischen
Transportmittel, b) mit verbündeten Kräften alle jene
strategischen Punkte in Österreich-Ungarn für die den
Alliierten nötig erscheinende Zeit zu besetzen, zum Zwecke dort
zu wohnen oder die Ordnung aufrechtzuerhalten, c) zu
Requisitionen gegen Bezahlung zugunsten der verbündeten Heere,
wo immer sie sich befinden.
5. Der vollständige Abzug aller deutschen Truppen innerhalb 15
Tage nicht nur von der italienischen und Balkanfront, sondern vom
ganzen österreichisch-ungarischen Territorium und die
Internierung aller deutschen Truppen, welche Österreich-Ungarn
an diesem Tage nicht verlassen haben.
6. Die provisorische Verwaltung der von Österreich-Ungarn
geräumten Gebiete wird den lokalen Behörden unter Kontrolle der
Stationskommandos der verbündeten Okkupationstruppen anvertraut
werden.
7. Sofortige Heimsendung ohne Gegenseitigkeit aller
Kriegsgefangenen und internierten Untertanen der Alliierten, auch
der von ihren Wohnstätten entfernten Zivilbevölkerung nach
Bedingungen, welche von den verbündeten Oberkommandanten an den
verschiedenen Fronten festzusetzen sind.
8. Die im evakuierten Gebiete verbliebenen Kranken und
Verwundeten müssen vom österreichisch-ungarischen Personal
gepflegt werden, welches samt dem hierzu nötigen ärztlichen
Material an Ort und Stelle zurückzulassen ist.
Die
Seebedingungen bestimmen u. a. folgendes:
1. Sofortige Einstellung jeder
Feindseligkeit zur See und genaue Angabe des Aufenthaltsortes und
der Bewegung aller österreichisch-ungarischen Schiffe.
2. Übergabe von 15 österreichisch-ungarischen Unterseebooten,
die von 1910 bis 1918 gebaut worden sind, und aller deutschen
Unterseeboote. Vollständige Abrüstung und Demobilisierung aller
anderen österreichisch-ungarischen Unterseeboote.
3. Übergabe von drei Schlachtschiffen, drei leichten Kreuzern,
neun Torpedobootszerstörern, einem Minenleger, sechs
Donau-Monitoren. Alle anderen Oberwasser -Kriegsschiffe (die
Flußschiffe mit inbegriffen) müssen demobilisiert und
vollständig abgerüstet werden.
4. Freiheit der Schiffahrt aller Schiffe der Kriegs- und
Handelsmarine der Alliierten und der verbündeten Mächte in der
Adria, die territorialen Gewässer inbegriffen, auf der Donau und
ihren Nebenflüssen innerhalb des österreichisch-ungarischen
Gebiets.
5. Aufrechterhaltung der Blockade seitens der Alliierten und der
verbündeten Mächte unter den gegenwärtigen Bedingungen.
6. Vereinigung und Belassung aller Luftstreitkräfte der Marine
in einem von den Alliierten und den Vereinigten Staaten
bestimmten Hafen.
7. Evakuierung der ganzen Küste und aller Handelshäfen, die von
Österreich-Ungarn außerhalb seines nationalen Gebietes besetzt
sind.
8. Besetzung aller Land- und Seebefestigungen und der zur
Verteidigung von Pola eingerichteten Inseln sowie der Werft und
des Arsenals durch die Alliierten und die Vereinigten Staaten.
9. Rückgabe aller weggenommenen Handelsschiffe.
10. Verbot jedweder Zerstörung von Anlagen oder Material vor der
Räumung. Übergabe oder Rückgabe.
11. Rückgabe aller Gefangenen ohne Verpflichtung der
Gegenseitigkeit.
Innsbruck, 6.
November
Die "Innsbrucker
Nachrichten" bringen an der Spitze ihrer heutigen
Mittagsnummer folgende Meldung:
Das bayerische Kriegsministerium in München hat dem Präsidenten
des Tiroler Nationalrates am 5. November, 10¾ Uhr nachts,
folgende Depesche übermittelt:
Die Waffenstillstandsbedingungen zwischen Österreich und der
Entente zwingen uns, zur Sicherung unserer Landesgrenzen Truppen
nach Nordtirol zu schicken.
Gleichzeitig sollen diese Truppen mithelfen, um den Abzug
abgelöster Teile des österreichischen Heeres nach Osten zu
ordnen und das Land vor Zuchtlosigkeit zu schützen. Unsere
Vorhuten überschritten am 5. November die Grenze, und starke
Kräfte werden folgen. Wir kommen als Freunde und erwarten, daß
uns bei unseren Bewegungen keine Hindernisse von seiten des
deutsch-österreichischen Nationalrates und der österreichischen
Kommandobehörden in den Weg gelegt werden. Sollte das trotzdem
der Fall sein, so sind unsere Truppen angewiesen, sich mit
Waffengewalt den Weg zu bahnen.
Der Kommandierende General.
Krafft v. Delmensingen.
Wien, 11. November
Die Korrespondenz Herzog meldet
aus Innsbruck:
Die Bayern setzten ihren Rückzug aus Tirol fort und räumten
bereits den Brenner, über welchen die Italiener in Autos
folgten. Die Italiener organisieren in Südtirol allmählich den
Abtransport der Ausrüstungen und Truppen in die Heimat. Zurzeit
sollen sich noch etwa 300000 österreichische Soldaten in
Südtirol befinden.
Wien, 11. November
Der Kaiser hat folgende Kundgebung
erlassen:
"Seit
meiner Thronbesteigung war ich unablässig bemüht, meine Völker
aus den Schrecknissen des Krieges hinauszuführen, an dessen
Ausbruch ich keinerlei Schuld trage. Ich habe nicht gezögert,
das verfassungsmäßige Leben wieder herzustellen und habe den
Völkern den Weg zu ihrer selbständigen staatlichen Entwicklung
eröffnet. Nach wie vor von unwandelbare Liebe für alle meine
Völker erfüllt, will ich ihrer freien Entfaltung meine Person
nicht als Hindernis entgegenstellen. Im voraus erkenne ich die
Entscheidung an, die Deutsch-Österreich über seine künftige
Staatsform trifft.
Das Volk hat durch seine Vertreter die Regierung übernommen. Ich
verzichte auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften. Gleichzeitig
enthebe ich meine österreichische Regierung ihres Amtes. Möge
das Volk von Deutsch-Österreich in Eintracht und
Versöhnlichkeit die Neuordnung schaffen und befestigen. Das
Glück meiner Völker war von Anbeginn das Ziel meiner heißesten
Wünsche. Nur der innere Friede kann die Wunden dieses Krieges
heilen.
Karl m.
p.
Lammasch m. p."
Wien, 11. November
Der Staatsrat hat den vom
Staatskanzler Dr. Renner vorgelegten Gesetzentwurf angenommen, in
dem Deutsch-Österreich als Republik und als Bestandteil der
Deutschen Republik erklärt wird. Der Präsident des Staatsrats
Seitz begab sich sofort nach Fassung des Beschlusses mit Renner
und Staatsnotar Silvester zu dem k. k. Ministerpräsidenten
Lammasch, um ihm den Beschluß des Staatsrates mitzuteilen und zu
versuchen, diesen Beschluß den beteiligten Faktoren zur Kenntnis
zu bringen.