Österreichischer Heeresbericht über die
Ereignisse an der Ostfront im Oktober 1914:
Rom, 3. Oktober
Aus
Nisch kommt die höchst wichtige Nachricht, daß die Serben und
Montenegriner ihre Stellungen auf den Romaniahöhen, die Sarajewo
von Nordosten beherrschen, haben räumen müssen, da sie gegen
die schwere österreichisch-ungarische Artillerie nicht zu halten
waren. Zwar fügt das serbische Bulletin hinzu, daß nunmehr die
Serben ihre größten Anstrengungen anders wo machen werden. Doch
sprach mir gegenüber ein Hauptmann aus dem italienischen
Generalstab sein Urteil dahin aus, daß nunmehr vorläufig die
serbische Aktion von untergeordneter Bedeutung sei, da keine
andere Zone sich so wie das gebirgige Bosnien zur Operation für
kleine Kräfte wie die serbischen eignet.
Wien,
4. Oktober
Die im
östlichen Bosnien eingedrungenen serbischen und
montenegrinischen Kräfte zwangen, in dieses abseits der
Hauptentscheidung liegende Gebiet mobile Kräfte zu detachieren.
Die erste dort eingeleitete Aktion hat bereits einen
erfolgreichen Abschluß gefunden. Zwei montenegrinische Brigaden,
die "Spuska" unter dem Kommando des Generals Wukowitsch
und die "Zatska" unter dem General Rajewitsch wurden
nach zweitägigen heftigen Kämpfen vollständig geschlagen und
auf Foca zurückgeworfen. Sie befinden sich in panikartigem
Rückzuge über die Landesgrenze. Ihren ganzen Train, darunter
nicht unbedeutende in Bosnien erbeutete Vorräte, mußten sie
zurücklassen. Aber auch bei dieser Gelegenheit wurden mehrere
Gefallene eigener vorgesandter Patrouillen, darunter ein
Fähnrich, in einem bestialisch verstümmelten Zustande
aufgefunden. Bei der neuerlich eingeleiteten Aktion wurde ein
komplettes serbisches Bataillon von einem eigenen Halbbataillon
gefangen genommen.
Wien,
5. Oktober
Nach hartnäckigem
Ringen ist es unseren Truppen gelungen, die in das Bereger
Komitat eingedrungenen Russen, die 12000 Mann zählten und mit
Gebirgskanonen und Maschinengewehren ausgerüstet waren, in
mehreren Gefechten zu schlagen und aus dem Komitat zu vertreiben.
Unsere Truppen, etwa 4500 Manu mit wenigen Geschützen, hatten
sich bei Felsoe-Verecke kozentriert und nach mehrstündigem
Kampfe gelang es ihnen, die Russen abzudrängen. Zur endgültigen
Entscheidung kam es bei Szolyva. Die Russen mußten sich
fluchtartig zurückziehen, wurden jedoch zwischen Aknos und
Polena umzingelt. Zahlreiche Russen fielen, viele wurden
gefangengenommen; außerdem wurden Maschinengewehre erbeutet.
Damit war das Bereger Komitat vom Feinde gesäubert.
Es ist erwiesen, daß die russischen Truppen nur auf Schleichwegen, die ihnen von Verrätern gezeigt worden, über die Karpathen in ungarisches Gebiet einbrechen konnten.
Nach hier eingetroffenen Meldungen haben mehrere hundert Kosaken heute versucht, von Maramaros-Sziget, wo von den etwa 18000 Bewohnern nur noch einige hundert zurückgelieben sind, nach Noßzumezö vorzudringen, wurden jedoch blutig zurückgeworfen. Das gleiche Schicksal erfuhren Kosaken, die sich in der Gegend von Taraczköz zeigten.
Wien, 6. Oktober
Die
Operationen in Russisch-Polen und Galizien schreiten günstig
vorwärts. Schulter an Schulter kämpfend warfen deutsche und
österreichisch-ungarische Truppen den Feind von Opatow und
Klimantow gegen die Weichsel zurück. In den Karpaten wurden die
Russen am Uszoker Paß vollständig geschlagen.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Wien, 7. Oktober
Unsere
Offensive hat auch gestern da und dort unter kleineren Gefechten
überall ihre Ziele erreicht. Laut einer Meldung eines von einem
kühnen Fluge aus Przemysl zurückgekehrten Generalstabsoffiziers
wird die Verteidigung der Festung von der kampfbegeisterten
Besatzung mit der größten Tätigkeit und Umsicht geführt.
Mehrere Ausfälle haben die feindlichen Linien zurückgedrängt
und zahlreiche Gefangene eingebracht. Alle Angriffe der Russen
sind unter furchtbaren Verlusten im Feuer der Festungswerke
zusammengebrochen.
In den Karpathen westlich des Wyszkower Sattels ist kein Feind
mehr. Der bei Marmaros-Sziget eingebrochene Gegner ist
geschlagen; die Stadt ist vergangene Nacht in unseren Besitz
zurückgelangt.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Der Sieg von
Marmaros-Sziget:
Der
Einbruch der Russen in das Karpathengebiet hat mit schweren
Niederlagen der russischen Truppen geendet. Der Vorstoß, der in
erster Reihe als Demonstration für die Nationalitäten gedacht
war, hat auf russischer Seite weit über zehntausend Opfer
gefordert. Die Aktion zur Vertreibung der Russen aus dem
Marmaroser Komitat wurde gestern nachdrücklich aufgenommen. Nach
unbedeutenden Geplänkeln zwischen Tecsö und Marmaros-Sziget kam
es gestern Abend in der Nähe von Hosfzumezö zu einer Schlacht,
die mit dem völligen Rückzug der Russen bis nach Nagy-Besko
endete. Damit war Marmaros-Sziget wieder in unseren Besitz
gelangt.
Nach amtlichen Meldungen sind bei den Kämpfen um den Uzsoker
Paß in den letzten Tagen viele tausend Russen gefallen. Der
Angriff unserer Truppen war so überwältigend, daß die Russen
einen Teil ihrer Geschütze in die Theiß warfen.
Nach einer Meldung aus Munkacs wurde ein Flügel der Russen bis
Benyova in Galizien geworfen. Bei diesen Gefechten wurden mehrere
hundert Gefangene gemacht und zahlreiche Geschütze erbeutet.
Wien, 8. Oktober
Beim
weiteren Vordringen unserer Truppen wurde gestern der Feind an
der Chaussee nach Przemysl bei Barycz westlich von Dynow
geworfen. Auch Rzeskow wurde wieder genommen, wo viele Geschütze
erbeutet wurden. In dem Winkel zwischen Weichsel und San nahmen
wir den flüchtenden Russen viele Gefangene und Fuhrwerke ab.
Erneute heftige Angriffe auf Przemysl werden glänzend
abgeschlagen. Der Feind hatte viele Tausende Tote und Verwundete.
In den siegreichen Kämpfen bei Marmaros-Sziget wetteiferten
ungarischer und ostgalizischer Landsturm mit den polnischen
Legionären an Tapferkeit.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Budapest, 9. Oktober
Wie
nun feststeht, haben die in das Maramaroser Komitat
eingebrochenen russischen Streitkräfte etwa ein Korps betragen.
Der Einbruch erfolgte an vier Stellen der Grenze, nicht auf
regelmäßigen Straßen, sondern über Pässe und Schleichwege.
Die aus Maramaros-Sziget zersprengten Russen zogen sich in drei
Richtungen zurück durch die Täler des Viso-Nagyag- und
Theißflusses und konzentrierten sich in letzterem Tale bei
Nagybocsko, wo sie nach großen Verlusten von unseren Truppen
verdrängt wurden. Sie flüchteten bis Lonka. Von den durch das
Visotal flüchtenden russischen Treppen wurden einzelne
Abteilungen in die Grenzgebiete der Komitate Szolnok, Doboka und
Beszterie - Naszod gedrängt wo sie überall von unseren Truppen
verfolgt und bei Felsoeviso geschlagen wurden. Die Russen wurden
heute bei Lonka angegriffen und zogen sich bis Raho zurück.
Während ihres Aufenthaltes in Marmaros-Sziget haben die Russen
für 3 Rubel einen Zwangskurs von 10 Kronen bestimmt.
Wien, 10. Oktober
Gestern versuchte
der Feind noch einen Sturm auf die Südfront von Przemysl, der
jedoch zurückgewiesen wurde. Dann wurden die
Rückwärtsbewegungen der Russen allgemein. Auch mußten sie die
Westfront räumen. Unsere Kavallerie ist dort bereits
eingeritten. Fünf bis sechs russische Infanterie-Divisionen
stellten sich bei Lancut, mußten jedoch gegen den San-Fluß
flüchten. Ferner wurden eine Kosaken-Division und eine
Infanterie-Brigade östlich von Dymow zurückgeworfen. Unsere
Truppen sind dem Gegner überall auf den Fersen.
Der Kriegsberichterstatter der "Reichspost" meldet: Am Dienstag haben die Russen einen heftigen Angriff auf einen Teil des äußeren Fortgürtels von Przemysl unternommen. Die Verteidiger ließen den Feind auf 800 Meter herankommen und eröffneten erst dann ein starkes Geschütz-, Maschinengewehr- und Infanteriefeuer. Die Wirkung des plötzlichen Feuers war entsetzlich. Gegen 10000 Russen waren zu diesem Angriff angesetzt und bis auf geringfügige Überreste sind alle tot oder verwundet am Platze geblieben. Der russische Angriff war hier völlig in sich zusammengebrochen.
Wien, 12. Oktober
Das
"Neue Wiener Tagblatt" schreibt über die Entsetzung
von Przemysl: Die Russen gelangten nicht weiter als bis zu den
Drahtverhauen und den Gräben der äußeren Werke. Die ganze
Festung schien ein einziger feuerspeiender Vulkan, der nach allen
Seiten Tod und Verderben hinausdonnerte. Durch die Explosion von
Minen im Vorfeld wurden ganze Abteilungen der von Offizieren
vorgetriebenen Gegner auf einmal zerfetzt. In den Stürmen vom 6.
bis 9. Oktober verloren die Russen bei Przemysl an Toten und
Verwundeten nicht weniger als 40000 Mann, also ein ganzes
Armeekorps. Przemysl hat seinen strategischen und taktischen Wert
für die Operationen unseres Heeres glänzend bewiesen. Deshalb
trachteten die Russen auch beim Anmarsch der verbündeten
deutschen und österreichisch-ungarischen Kolonnen noch im
letzten Moment, sich der Festung zu bemächtigen; denn ein
weiteres Vorrücken gegen Westen mit einer so offensiven
Besatzung dieses schlagkräftigen Stützpunktes im Rücken hätte
gewiß für das russische Heer eine äußerst ungünstige
Situation bedeutet. Unmittelbar nach dem letzten Angriffe machten
sich aber schon die Wirkungen unseres Vorrückens über Rzeszow
fühlbar. Während der Feind Przemysl immer wieder vergebens
berannte, entsandte er zur Deckung der Sturmangriffe eine starke
Abwehrgruppe von sechs Infanteriedivisionen und einer
Kosakendivision, mehr als 100000 Mann, längs der Chaussee über
Jaroslau 50 Kilometer westwärts. In zweitägiger Schlacht warf
unsere von Rzeszow-Bario gegen Lancut-Dynow vorstoßende Armee
die feindliche Heeresmacht und verfolgte sie bis an den San
Wien, 13. Oktober
Gestern
schlugen unsere gegen Przemysl anrückenden Kräfte, unterstützt
durch einen Ausfall der Besatzung, die Einschließungstruppen
derart zurück, daß sich der Feind jetzt nur noch vor der
Ostfront der Festung hält. Bei seinem Rückzug stürzten mehrere
Kriegsbrücken nächst Sosnica ein; viele Russen ertranken im
San. Östlich Chyrow dauert der Kampf noch an. Eine
Kosakendivision wurde von unserer Kavallerie gegen Drohobycz
geworfen. In den durch sehr ungünstige Witterung und schlechte
Wegeverhältnisse außerordentlich erschwerten Märschen und
Kämpfen der letzten Wochen hat sich die Leistungsfähigkeit
unserer Truppen glänzend bewährt.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Die noch innerhalb der
Grenzen ungarischen Landes befindlichen russischen Truppen, die
sich fluchtartig über die Grenzen zu retten versuchen, erlitten
in den letzten Tagen abermals schwere Niederlagen. Bei Toronya,
Kaszon-Mezoe und Terebes-Feherpatak wurden sehr viele Gefangene
gemacht. Auf ihrer Flucht haben die Russen in mehreren
Ortschaften viele Häuser zerstört und geplündert. Soweit sich
bisher übersehen läßt, hat der Einfall nach Ungarn den Russen
an Verwundeten, Toten und Gefangenen etwa 15000 Mann gekostet.
Wien, 15. Oktober
Gestern
eroberten unsere Truppen die befestigten Höhen von Starasol.
Auch gegen Strary-Sambor gewannen unsere Angriffe Raum. Nördlich
des Strwiaz haben wir eine Reihe von Höhen bis zu der
Südostfront von Przemysl im Besitz. Am Sanflusse abwärts der
Festung wird gekämpft. Unsere Verfolgung des Feindes über die
Karpathen hat Wyszkow und Skole erreicht.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Wien, 15. Oktober
Am 2. Oktober wurde bei dem Festungskommando der Festung Przemysl folgender an den Kommandanten der Festung gerichteter Brief durch einen Parlamentär überbracht:
"Herr Kommandant!
Das Glück hat die k. und k. Armee verlassen. Die letzten erfolgreichen Kämpfe unserer Truppen haben mir die Möglichkeit gegeben, die Ew. Exzellenz anvertraute Festung Przemysl zu umringen. Irgend welche Hilfe für Sie von außen halte ich für unmöglich. Um unnützes Blutvergießen zu vermeiden, finde ich es jetzt an der rechten Zeit, Ew. Exzellenz Unterhandlungen über die Übergabe der Festung Przemysl vorzuschlagen, da es in diesem Falle möglich wäre, für Sie und die Besatzung ehrenvolle Bedingungen bei dem Allerhöchsten Oberkommando zu erbitten. Falls Ew. Exzellenz die Unterhandlungen zu beginnen wünschen, wollen Sie unseren entsprechend bevollmächtigten Delegierten, Oberstleutnant Wandam, ihre Bedingungen gütigst mitteilen. Ich benutze diesen Anlaß, um Ew. Exzellenz meine Hochachtung anzusprechen.
Der Kommandant der Przemysl blockierenden Armee,
General Radko Dimitriew.Die sogleich auf dieses Schreiben erteilte Antwort lautet:
Herr Kommandant. Ich finde es unter meiner Würde, auf den schimpflichen Rat eine meritorische Antwort zu erteilen
Der Kommandant der Besatzung von Przemysl.
Wien, 16. Oktober
Die
Vertreibung der Russen aus dem Marmaroser Komitat erfolgte nach
einer Reihe siegreicher Einzelgefechte. An diesen Aktionen hatten
auch Mitglieder der polnischen und ukrainischen Legion
hervorragenden Anteil. Die Angehörigen dieser haben sich durch
mutiges Verhalten ausgezeichnet.
Wien, 17. Oktober
Sowohl
die in der Linie Stary-Sambor - Medyka und am San entbrannte
Schlacht als auch unsere Operationen gegen den Djnestr nehmen
einen guten Verlauf. Nördlich Wyszkow wurden die Russen abermals
angegriffen und geworfen. Bei Synowucko forcierten unsere Truppen
den Stryjfluß, gewannen die Höhen nördlich des Ortes und
nahmen die Verfolgung des Feindes auf. Ebenso gelangten die
Höhen nördlich von Podbuz und südöstlich Stary-Sambor nach
hartnäckigen Kämpfen in unseren Besitz. Auch nördlich des
Strwiazflusses schreitet unser Angriff vorwärts. Nördlich von
Przemysl beginnen wir bereits auf dem östlichen Sanufer festen
Fuß zu fassen. Die Zahl der während unserer jetzigen Offensive
gemachten Gefangenen läßt sich natürlich noch nicht annähernd
übersehen. Nach den bisherigen Meldungen sind es schon mehr als
15000.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Kriegspressequartier,
18. Oktober
Gestern
konnte ich eine Reihe authentischer Mitteilungen über den
Verlauf der Einschließung Przemysls erfahren, die ein ziemlich
vollständiges und verläßliches Bild des Ganzen geben. Am 16.
September zeigten sich die ersten Kosakenpatrouillen im weiteren
Umkreise der Festung, das heißt, ihre Anwesenheit wurde von
unseren Kavalleriepatrouillen gemeldet. Am 17. September verließ
der letzte Eisenbahnzug mit dem Bahnpersonale die Stadt, ohne
irgendwie auf den Gegner zu stoßen. Erst am 18. September
zeigten sich neuerlich Kosakenabteilungen, die sich sehr
vorsichtig näherten. Später folgten bereits gemischte
Detachements auf allen Anmarschlinien. Ihre Verteilung und
Instradierung zeugte von sorgfältiger und wohldurchdachter
Vorbereitung, ebenso die Art der in den Tagen bis zum 22.
September so ziemlich beendeten weiten Einschließung des
Festungsgebietes. Es waren von den Russen hierzu etwa fünf
Armeekorps verwendet worden, die sich in der letzten
Septemberwoche allseits vorzuarbeiten suchten. Die ungemein
offensiv geführte Verteidigung Przemysls erschwerte dies, jedoch
außerordentlich durch zahlreiche Ausfälle und sehr wirksames
Feuer aus den vorgeschobenen Stellungen. Hiermit begann bereits
die Periode sehr schwerer Verluste für die Russen, die sich
schließlich auf mindestens vierzigtausend Mann mit einem
abnormen Prozentsatz an Toten beliefen.
Am 2. Oktober sandte der Kommandant der Belagerungsarmee, der
frühere bulgarische Gesandte in Petersburg, General Radko
Dimitriew, einen Oberleutnant des Generalstabes als Parlamentär
mit der Aufforderung zur Übergabe in die Festung. Der
Festungskommandant Feldmarschalleutnant Kusmanek von
Burgneustätten erteilte die bereits bekannt gewordene Antwort,
die es überhaupt ablehnte, auf das russische Ansinnen
einzugehen. In der Festung herrschte Stimmung, als diese
gebührende Antwort bekannt wurde und zwar nicht allein bei der
Besatzung, sondern auch in der Bevölkerung, die sich überhaupt
musterhaft benahm, da alle verdächtigen Elemente abgeschoben
worden waren.
Tags darauf begann die Beschießung der Festung mit den schweren
Kalibern, die mittlerweile mit großer Umsicht in Stellung
gebracht worden waren. Es wird erzählt, daß sich die Russen im
Besitze ausgezeichneter Informationen über alle Einzelheiten der
Befestigungsanlagen befunden haben müssen, da sie ihre Batterien
nicht nur fast durchwegs mustergültig und mit ihren Kalibern
genau den zu bekämpfenden Zielen entsprechend eingebaut hatten,
sondern auch Objekte beschossen, deren genaue Lage und Bestimmung
ihnen sonst unmöglich bekannt sein konnten. Die russischen
Stellungen waren durchweg vorzüglich maskiert und nur mit
größter Mühe zu entdecken. Es soll nun an General Dimitriew
der Befehl ergangen sein, die Festung unbedingt bis 8. Oktober zu
nehmen. Tatsächlich begann am 5. Oktober ein allgemeiner Angriff
gegen alle Fronten, der sich schließlich gegen die Südostfront
der Festung am entschiedensten aussprach. Man gewann den
Eindruck, daß General Dimitriew, vielleicht noch angeregt durch
den raschen Erfolg bei Lüttich, seinen vor Adrianopel erworbenen
Ruhm hier auch durch einen gewaltsamen Angriff, wie der
Fachausdruck lautet, krönen wollte. Es wurden nämlich vom 6.
Oktober an durch volle 72 Stunden alle Mittel in
rücksichtslosester Weise aufgeboten, um die Festung zu Fall zu
bringen. Artilleristisch waren die Russen sehr gut vorgesehen,
sie hatten außer ihrer ohnehin sehr zahlreichen und guten
Feldartillerie noch einen reichen Belagerungspark von 15, 18, 21
und 24-Zentimeter-Kaliber, ferner eine Menge von
Marinegeschützen in Tätigkeit, die alle Werke mit größter
Präzision ununterbrochen unter Feuer hielten, um das Herankommen
der Infanterie auf Sturmstellung zu ermöglichen und unsere
Verteidigungsmittel bis dahin möglichst zu vernichten oder ihre
Wiederherstellung unmöglich zu machen. Alles scheiterte aber an
der wirklich überlegenen Ruhe unserer Offiziere und Mannschaften
in der Verteidigung. Die Leute schossen sorgfältig wie nach
Scheiben, sodaß sogar das Infanteriefeuer enorme Erfolge hatte,
von der Wirkung der Geschütz- und Maschinengewehre gar nicht zu
reden. Gefährlich wurde die Situation nur an der Südostfront,
wo die Russen mit wahrhaft verzweifeltem Mute unter entsetzlichen
Opfern vorgingen. Gegen ein einziges Fort daselbst, das
schwächste dieses Abschnittes, wurden elf Bataillone angesetzt,
von denen sich etwa 150 Mann schließlich einzeln kriechend
ungesehen bis zur Kehle schlichen und plötzlich oben auf dem
äußeren Wall auftauchten. Unsere geringe Besatzung an dieser
Stelle mußte sich in die Kehlkoffer und Kasematten
zurückziehen. Die Russen drängten sofort nach und es begann ein
wahres Schlachten mit Bajonetten und Kolben, da Feuerwaffen in
diesem Handgemenge nicht anwendbar waren. Unsere ganze Besatzung
zählte nur hundert Mann und wehrte sich verzweifelt, so daß
schließlich alle eingedrungenen Russen tot oder gefangen waren.
Alle Gräben des Forts und die Drahthindernisse vor ihm waren mit
Haufen von Leichen bedeckt. Ein einziger Mann namens Suchy schoß
allein zuerst den kommandierenden Major und noch über 40 Russen
nieder. Ein anderer, der sich gleichfalls an einer günstigen
Stelle befand, arbeitete ähnlich mit Handgranaten. Schließlich,
nach mehr als dreistündigem Kampfe, hörte das Nachfluten der
Eindringlinge auf und das kleine Vorwerk war endgültig frei.
Am stärksten war ein Fort der Nordfront mitgenommen worden. Etwa
250 Treffer wurden darin erzielt. Merkwürdigerweise war aber die
Wirkung relativ gering trotz der schweren Kaliber. Zwei auf
offenem Wall stehende leichte Geschütze waren demontiert, die
Erde war vielfach durch tiefe Trichterbildungen aufgewühlt,
Betonbauten und Panzerkuppeln aber blieben völlig unversehrt,
sodaß die Kampffähigkeit des Werkes nicht gelitten hatte. Ich
sah dort einen sehr merkwürdigen Zufallstreffer. Eine Granate
war direkt in eine Scharte eingedrungen und hatte einen Mann
getötet. Dies war der einzige Tote in jenem Werke, wo überhaupt
sonst nur einige Dutzend Mann verwundet wurden. Ein Beweis für
die Schußpräzision war das Trefferbild, das vom Walle aus sehr
gut zu sehen war. Alle Schüsse saßen symmetrisch zu beiden
Seiten der Mittellinie, die Flanken wiesen fast keine Treffer
auf. Die aus Honvedtruppen bestehende Besatzung erzählte, daß
die in den Kasematten dienstfrei ruhende Mannschaft nur in der
ersten Nacht wegen der ungeheuren Detonationen der einschlagenden
Bomben nicht schlafen konnte. Später gewöhnten sich die Leute
daran und schliefen ruhig, da sie sich von der
Widerstandsfähigkeit der Decken überzeugt hatten.
Am 8. Oktober ließ der russische Angriff an Heftigkeit nach. Der
Rückzug begann. Er artete an manchen Stellen bald zur Flucht
aus, da die Besatzung heftig nachdrängte und unsere eigenen
Entsatzkräfte von Westen fühlbar wurden. Es wurden eine Menge
von schweren Geschützen erbeutet, die von den Russen nicht mehr
mitgenommen werden konnten, auch zahlreiche Gefangenen wurden bei
den verschiedenen Ausfällen gemacht.
Die Verluste der Besatzung Przemysl betrugen insgesamt etwa 600
Mann, sind also minimal. Am 11. Oktober fanden noch feierliche
Dankgottesdienste statt und zahlreiche Abordnungen erschienen
beim kommandierenden General, um ihm den Dank für die rasche
Aufhebung der Belagerung auszusprechen.
Es wird nunmehr in der Umgebung der Festung, hauptsächlich im
Osten gekämpft, wo die Russen mit größter Zähigkeit
Widerstand leisten. Man hört den Kanonendonner sehr deutlich.
Gestern Abend fand noch ein Rückzugsgefecht im Norden der
Festung statt, da die Russen ihre nächst Radymno geschlagene
Brücke über den San verteidigten. Ich stand auf dem Kirchturme
von Radymno, doch war wegen der einbrechenden Dunkelheit außer
einigen Schwarmlinien unserer Infanterie und dem Aufblitzen des
Geschützfeuers nicht viel zu sehen. Der Ort selbst hatte arg
gelitten. Bei der Rückkehr nach Przemysl konnte ich mich
neuerlich von der guten Stimmung unserer braven Soldaten
überzeugen. Sie waren den ganzen Tag marschiert und schritten
noch am Abend raumgreifend und in tadelloser Marschordnung aus,
obwohl man vielen die Ermüdung ansah. Keiner von den vielen
wollte zurückbleiben.
Feiherr
K. von Reden,
Kriegsberichterstatter.
Berlin, 19. Oktober
Wie
die "Vossische Zeitung" aus Wien zu berichten weiß,
geben die Russen sicherem Vernehmen nach ihren Verlust bei dem
Sturm auf Przemysl, den sie durch Flatterminen erlitten haben,
nicht auf 40000, sondern auf 70000 Mann an. Die russischen
Zeitungen in Lemberg haben diese Nachricht gebracht. In Lemberg
selbst haben die Russen weniger Schaden angerichtet, als man
anfänglich angenommen hat.
Wien, 21. Oktober
In den
schweren und hartnäckigen Angriffen auf die verstärkten
Stellungen des Feindes von Felsztyn bis an die Chaussee nördlich
von Medyka gewannen wir an mehreren Stellen Terrain, während die
russischen Gegenangriffe nirgends durchzudringen vermochten. In
der vergangenen Nacht erstürmten unsere Truppen die
Kapellenhöhe nördlich Mizynice. Südlich Magiera gelang es
ihnen schon gestern, sich von den eroberten Ortschaften gegen die
Höhen vorzuarbeiten.
Am Südflügel wird der Kampf hauptsächlich durch Artillerie
geführt. Durch weitgehende Anwendung der modernen
Feldbefestigung nimmt die Schlacht zum großen Teil den Charakter
eines Festungskrieges an.
In den Karpathen wurde gestern der Jablonica-Paß, der letzte der
von einer russischen Abteilung besetzt gewesenen Übergänge,
genommen.
Auf ungarischem Boden ist kein Feind mehr. Unsere Erkundung in
die Bukowina erreichte den Großen Sereth.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Wien, 22. Oktober
In der
Schlacht beiderseits des Strwiaz gelang es uns, nun auch im Raume
südlich dieses Flusses den Angriff vorwärts zu tragen. Auf der
beherrschenden trigonometrischen Höhe 668 südöstlich von
Stary-Sambor wurden zwei hintereinander liegende
Verteidigungsstellungen des Feindes genommen. Nordwestlich des
genannten Ortes gelangten unsere Gefechtslinien näher an die
Chaussee nach Starasol heran. Nach den bisherigen Meldungen
wurden in den letzten Kämpfen 3400 Russen, darunter 25
Offiziere, gefangengenommen, und 15 Maschinengewehre erbeutet. In
Czernowitz sind unsere Vortruppen eingerückt.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Wien, 23. Oktober
Während
gestern in der Schlacht südlich von Przemysl hauptsächlich
unsere gegen die feindlichen Stützpunkte entsandte schwere
Artillerie das Wort hatte, entwickelt sich heute ein heftiger
Kampf am unteren San, wo wir den Gegner an mehreren Punkten auf
das westliche Ufer übergehen ließen, um ihn angreifen und
schlagen zu können. Die übergegangenen russischen Kräfte sind
bereits dicht an den Fluß gepreßt. Bei Zarzecze machten wir
über 1000 Gefangene. Teile unseres Heeres erschienen
überraschend vor Iwangorod, schlugen zwei feindliche Divisionen
und nahmen 3600 Russen, erbeuteten eine Fahne und fünfzehn
Maschinengewehre.
Bei der Rückkehr von einer erfolgreichen Aktion auf der Save
stieß unser Flussmonitor "Temes" auf eine feindliche
Mine und sank. Von der Besatzung werden 33 Personen vermißt; die
übrigen wurden gerettet.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Wien, 25. Oktober
Auf
dem nordöstlichen Kriegsschauplatz stehen nunmehr unsere Armeen
und starke deutsche Kräfte in einer fast ununterbrochenen Front,
die sich von den Nordabfällen der östlichen Karpathen über
Stary-Sambor, das östliche Vorgelände der Festung Przemysl, den
unteren San und das polnische Weichselland bis in die Gegend von
Plozk erstreckt, im Kampfe gegen die Hauptmacht der Russen, die
auch ihre kaukasischen, sibirischen und turkestanischen Truppen
herangeführt.
Unsere Offensive über die Karpathen hat starke feindliche
Kräfte auf sich gezogen.
In Mittelgalizien, wo beide Gegner befestigte Stellungen inne
haben, steht die Schlacht im allgemeinen. Südöstlich von
Przemysl und am unteren San errangen unsere Truppen auch in den
letzten Tagen mehrfach Erfolge. In Russisch-Polen wurden
beiderseits starke Kräfte eingesetzt, die seit gestern
südwestlich der Weichselstrecke Iwangorod-Warschau kämpften.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Wien, 27. Oktober
Die
aus Romanja-Planina geschlagenen serbisch-montenegrinischen
Kräfte wurden nach viertägiger, unausgesetzter Verfolgung bei
Visegrad und Gorazde über die Drina zurückgedrängt Unsere
Truppen erbeuteten hierbei in einer Schule bei Haust Jenica viel
Infanterie- und Artillerie-Munition und eroberten in
Nachhutkämpfen auf der Linie Veliko - Brod - Vracevica
Maschinengewehre und Gebirgsgeschütze. Ostbosnien ist hiermit
bis an die Drina vom Gegner gesäubert. An demselben Tage, an dem
die Serben und Montenegriner über die Drina zurückgedrängt
wurden, errangen auch unsere in Serbien stehenden Truppen einen
namhaften Erfolg. Zwei feindliche Stellungen wurden bei Ravnia in
Macva im Sturm genommen; hierbei wurden vier Maschinengewehre,
600 Gewehre und Bomben erbeutet, sowie viele Gefangene gemacht.
Wien, 30. Oktober
In
Russisch-Polen wurde auch gestern nicht gekämpft. Am unteren San
wurden stärkere, südlich Nisko über den Fluß gegangene
feindliche Truppen nach heftigen Gefechten zurückgeworfen. Bei
Stary-Sambor sprengte unser Geschützfeuer ein russisches
Munitionsdepot in die Luft. Alle feindlichen Angriffe auf die
Höhen westlich dieses Ortes wurden abgeschlagen. Im Raume
nordöstlich von Turka gewannen unsere angreifenden Truppen
mehrere wichtige Höhenstellungen, die der Feind fluchtartig
räumen mußte. Unser Landsturm machte in diesen Kämpfen viele
Gefangene.
Die Gesamtzahl der in der Monarchie internierten Kriegsgefangenen
betrug am 23. Oktober 649 Offiziere und 73179 Mann, nicht
eingerechnet die auf beiden Kriegsschauplätzen sehr zahlreichen
noch nicht abgeschobenen Gefangenen aus den Kämpfen der letzten
Wochen.
Der Stellvertreter des Chefs des
Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.